Corporate Governance einer Aktiengesellschaft – Merkblatt für die Praxis
Ein bei vielen KMU bekanntes Dilemma: Das Tagesgeschäft läuft, die sich füllende Inbox erfordert Ihre Aufmerksamkeit und eine Besprechung folgt der nächsten. Zwischen all diesen Verpflichtungen bleibt häufig weder Zeit noch Energie für die «Haushaltsführung» der Gesellschaft, die sog. Corporate Governance. Mit diesem Beitrag zeigen wir betroffenen Akteuren in aller Kürze auf, welche Rechte den Aktionären zustehen, worauf als Verwaltungsrat zu achten ist und welche Fragen sich speziell in einem Konzernverhältnis stellen können.
Welche Rechte kommen den Aktionären nicht-börsenkotierter Gesellschaften von Gesetzes wegen zu?
Schwellenwert | Aktionärsrechte |
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>0% des Aktienkapitals oder der Stimmen | Teilnahme-, Diskussions- und Stimmrecht an der Generalversammlung |
Kontrolle und Information anlässlich der Generalversammlung | |
Klagerechte:
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mind. 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen | Traktandierungs- und Antragsrecht zuhanden der Generalversammlung |
Einsichtsrecht in Geschäftsbücher und Akten innert vier Monaten nach der Anfrage beim Verwaltungsrat, sofern für die Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich und keine schutzwürdigen Gesellschaftsinteressen betroffen sind. Bei Verweigerung kann der Anspruch innert 30 Tagen gerichtlich durchgesetzt werden. | |
mind. 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen | Einberufung einer Generalversammlung verlangen (aber nicht selbst dazu einladen) |
Auskunftsrecht ausserhalb Generalversammlung beim Verwaltungsrat mit den gleichen Modalitäten wie beim Einsichtsrecht | |
Einleitung einer Sonderuntersuchung gerichtlich durchsetzen, falls Auskunfts- oder Einsichtsrecht bereits ausgeübt und Generalversammlung den Antrag zur Untersuchung ablehnt | |
Auflösungsklage | |
mind. 10% des Aktienkapitals | Verlangen einer ordentlichen Revision |
25% des Aktienkapitals oder der Stimmrechte | Meldepflicht der wirtschaftlich berechtigten Person (sog. GAFI-Meldung für GAFI- Register der Gesellschaft) |
>33% der vertretenen Stimmen | Sperrminorität für wichtige Beschlüsse der Generalversammlung, bspw. Zweckänderung, gewisse Kapitalveränderungen, insb. Einführung Kapitalband, Sitzverlegung, Währungswechsel, Einführung Stichentscheid etc. |
Welche Rechte und Pflichten haben die Verwaltungsratsmitglieder?
- Auskunft und Einsicht: Jedes Mitglied des Verwaltungsrats («VR») kann Auskunft über alle Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen. In den VR-Sitzungen sind alle Mitglieder des VR sowie die mit der Geschäftsführung betrauten Personen zur Auskunft verpflichtet. Ausserhalb der Sitzungen kann jedes Mitglied von den mit der Geschäftsführung betrauten Personen Auskunft über den Geschäftsgang und, mit Ermächtigung des Präsidenten, auch über einzelne Geschäfte verlangen. Soweit es für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, kann jedes Mitglied dem Präsidenten beantragen, dass ihm Bücher und Akten vorgelegt werden.
- Vertretungsrecht: Die Gesellschaft wird gegen aussen durch den VR vertreten. Die Zeichnungsberechtigungen ergeben sich aus dem öffentlich einsehbaren Handelsregister. Mindestens eine Person (Verwaltungsrat oder Direktor) muss ihren Wohnsitz in der Schweiz haben.
- Sorgfalts- und Treuepflicht: Dem VR kommt von Gesetzes wegen die Pflicht zu, die Geschäfte mit aller Sorgfalt zu besorgen und in guten Treuen zu handeln. Aktionäre sind nach Massgabe ihrer Gleichheit gleich zu behandeln. Ferner ergibt sich aus der Treuepflicht auch die Pflicht zur Vermeidung eines Interessenkonfliktes, indem ein Mitglied den VR unverzüglich über einen möglichen Interessenkonflikt zu informieren hat.
- Insbesondere wichtig: Kapitalschutzpflichten: Die Finanzplanung und -kontrolle ist eine Kernaufgabe des VR, indem gewährleistet werden muss, dass die Gesellschaft ihren Verbindlichkeiten fristgerecht nachkommt. Das Gesetz sieht mittels der nachfolgenden Kaskadenordnung ausdrücklich vor, welche Pflichten dem VR im Falle einer finanziellen Schieflage der Gesellschaft zukommen. Dem Erkennen des sog. Besorgniszeitpunktes kommt dabei entscheidende Bedeutung zu.
Ein Unterlassen entsprechender Massnahmen führt zur zivilrechtlichen Haftbarkeit und kann auch strafrechtliche Folgen mit sich ziehen. Gut beratene Entscheide und entschlossenes Handeln sind hierbei essenziell, um rasch die richtigen Massnahmen zum passenden Zeitpunkt zu ergreifen und Haftungsrisiken zu minimieren. Es empfiehlt sich daher im Vorfeld die Erarbeitung eines Massnahmeplans für den Sanierungsfall.
Insolvenzgrad | Definition | Mögliche Massnahmen des VR (nicht abschliessend) |
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Drohende Zahlungsunfähigkeit | voraussichtlich dauerhaft nicht mehr möglich, den Verbindlichkeiten fristgerecht nachzukommen | Zahlungsfähigkeit sicherstellen, bspw. durch:
Generalversammlung einberufen mit Antrag betr. Kapitalerhöhung oder -schnitt Gesuch um Nachlassstundung |
Kapitalverlust | Verlust > Hälfte des Eigenkapitals | Eingeschränkte Revision der letzten Jahresrechnung (auch bei Opting-out verpflichtend)
(zurückhaltende) Bilanzkosmetik, bspw. durch zulässige Aufwertung mittels Auflösung stiller Reserven Operative Massnahmen zur Stärkung des Eigenkapitals und Beseitigung des Kapitalverlustes |
Überschuldung | Verlust > Eigenkapital | (zurückhaltende) Bilanzkosmetik, bspw. durch zulässige Aufwertung durch Auflösung stiller Reserven
Zwischenabschluss erstellen und prüfen lassen, bei Überschuldung:
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Welche Aufgaben kommen dem Verwaltungsrat zu?
Der VR trägt die Verantwortung für die Geschäftsführung. Er kann diese auch Dritten (der Geschäftsleitung) übertragen. Das Gesetz sieht zudem eine Auffangkompetenz vor: Aufgaben, die nach Gesetz, Statuten oder Organisationsreglement keinem anderen Organ zugewiesen sind, obliegen dem VR. Gewisse Aufgaben können dem VR nicht entzogen werden und sind auch nicht übertragbar – auch nicht an die Organe der Muttergesellschaft – wie beispielsweise die Festlegung der Organisation, die Erstellung des Geschäftsberichtes oder die Benachrichtigung des Gerichts im Falle der Überschuldung.
Welche Stellung hat der Verwaltungsratspräsident?
Dem Präsidenten kommt eine besondere Rolle zu, denn er leitet die VR-Sitzungen, legt die Tagesordnung fest und sorgt für die Durchführung der Beschlüsse. Nicht selten wird ihm mittels Statuten oder Organisationsreglement der Stichentscheid bei Stimmengleichheit an der GV zugesprochen. Nach aussen repräsentiert der Präsident den VR und damit die Gesellschaft.
Inwiefern besteht für die Organisation der Gesellschaft Gestaltungsfreiheit?
Die im Gesetz vorgesehenen Regeln zur Gesellschaftsorganisation können – sofern sie nicht zwingender Natur sind – durch abweichende Normierungen ersetzt werden. Neben den zwingend zu verfassenden Statuten, welche jeweils notariell beurkundet werden müssen, eignet sich dazu insbesondere der Erlass eines Organisationsreglements. Darin können Anwesenheits- und Beschlussquoren, Zuständigkeiten und Kompetenzen, Amtsperioden, Sitzungsmodalitäten etc. geregelt werden. Vielfach ist es auch empfehlenswert, innerhalb eines VR spezifische Ausschüsse zu bilden. Im Organisationsreglement kann zudem auch die Einbettung in den Konzern und damit der Umgang mit der Muttergesellschaft ausdrücklich festgelegt werden.
Welchen Interessen ist der VR verpflichtet?
Grundsätzlich ist der VR allein den Interessen der «eigenen» Gesellschaft verpflichtet. Ein Vorrang von Konzerninteressen besteht nach nicht. Im Unterschied zu den Aktionären dürfen somit persönliche oder geschäftliche Interessen eines einzelnen Mitglieds nicht in den Beschlussfassungsprozess und damit die Leitung der Gesellschaft einfliessen. Das VR-Mitglied ist in einem solchen Fall zur Offenlegung und Enthaltung in der Abstimmung verpflichtet, um die Objektivität der Entscheidung sicherzustellen, kann jedoch in der Beratung mitwirken. Diesbezüglich ist die Erarbeitung interner Richtlinien empfehlenswert.
Im Falle einer Muttergesellschaft als Alleinaktionärin decken sich jedoch die Interessen der Tochtergesellschaft grösstenteils mit denjenigen der Muttergesellschaft und damit des Konzerns (sog. «doppelter Pflichtennexus»). Indirekt ist damit der VR auch zur Wahrung der Interessen der Konzernmutter verpflichtet. Diese Pflicht findet ihre Grenzen dann, wenn die Verfolgung der Konzerninteressen den Interessen der eigenen Gesellschaft zuwiderläuft. Diesfalls muss der VR einzig die Interessen der eigenen Gesellschaft wahrnehmen und durchsetzen. Mit anderen Worten sind Konzernweisungen verbindlich, soweit sie nicht gegen das Gesetz, die Statuten oder die guten Sitten verstossen und soweit sie mit den Interessen der Tochtergesellschaft vereinbar sind. Die von Gesetzes wegen unentziehbaren und unübertragbaren Aufgaben dürfen nicht an die Organe der Muttergesellschaft delegiert werden.
Welche Haftungsrisiken bestehen?
Die Mitglieder des VR und alle mit der Geschäftsführung befassten Personen sind sowohl der Gesellschaft als auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen. Dies gilt auch im Falle der Delegation von Aufgaben, sofern nicht nachgewiesen werden kann, dass bei der Auswahl, Unterrichtung und Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet wurde.
Im Rahmen der sog. «Business Judgement Rule» besteht zudem eine Exkulpationsmöglichkeit für die Haftung, indem sich die betroffenen Personen auf den Standpunkt stellen können, ein (nachträglich schädlicher) Geschäftsentscheid sei formell ordnungsgemäss, ohne Einfluss eines Interessenkonfliktes, unter Berücksichtigung von Gesetz und Statuten sowie nach Einholung aller zumutbaren Informationen in, zum damaligen Zeitpunkt, vertretbarer Weise erfolgt.
Durch eine organisierte und aktuelle «Haushaltsführung» im Unternehmen stellen Sie sicher, Ihre Kapazitäten voll und ganz für Kunden und Geschäftspartner einsetzen zu können. Gerne steht Ihnen unser Team zur Seite, um die Corporate Governance Ihrer Gesellschaft zu analysieren, gegebenenfalls auf Vordermann zu bringen und offene Fragen zu klären.